Anthroposophische Heilpädagogik
Anthrosocial ist ein Fachverband für anthroposophische Heil- und Sozialpädagogik. Als Zusammenschluss von Menschen, Institutionen und Initiativen setzen wir uns für die Rechte von Menschen mit Assistenzbedarf ein, und unterstützten sie in ihrer Selbst- und Mitbestimmung sowie bei der gesellschaftlichen Teilhabe.
Grundlage unserer Arbeit bildet die anthroposophische Sicht auf den Menschen:
Unabhängig von seinen persönlichen Voraussetzungen strebt jeder Mensch danach, in seiner Individualität wahrgenommen zu werden und seine Lebensziele in grösstmöglicher Selbstbestimmung zu verwirklichen. Das Potenzial dafür trägt jeder einzelne Mensch in sich. Er ist somit nicht nur „entwicklungsbedürftig“, sondern auch „entwicklungsfähig“.
Die Anthroposophie betrachtet den Menschen dabei als Einheit von Körper, Seele und Geist. Diese Sichtweise ist von grosser Bedeutung im Hinblick auf Menschen mit Unterstützungsbedarf. Denn so verstanden leitet sich die Persönlichkeit des Einzelnen nicht nur aus seinen körperlichen und sozialen Bedingungen ab, sie ist vielmehr Ausdruck seines geistigen Kerns. Dieser Wesenskern des Menschen kann niemals krank, sondern nur in seiner harmonischen Entfaltung beeinträchtigt sein.
Genau hier setzt die anthroposophische Heil- und Sozialpädagogik an:
In dialogischer Beziehungsgestaltung will sie Menschen dabei unterstützen, ihren Wesenskern zur Entfaltung zu bringen. Ziel ist es, für Menschen mit Unterstützungsbedarf in Anerkennung ihrer Individualität sinnvolle Angebote zu schaffen und sie in ihrer Selbstentwicklung zu begleiten. Dazu pflegt sie lebendige Beziehungen zu ihnen, die auf Achtung, Engagement, der richtigen Balance aus Nähe und Distanz sowie auf Gegenseitigkeit beruht.
Begleitung und Förderung in allen Lebensphasen
Die Angebote anthroposophisch orientierter Institutionen sind vielfältig und auf unterschiedlichste Lebenssituationen ausgerichtet:
Bereits im Vorschulalter können Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf in Spielgruppen und Kindergärten adäquat begleitet und gefördert werden.
Im Schulalter bieten Elemente des Waldorf-Lehrplans eine wichtige Grundlage der pädagogischen Arbeit in den Tagessonderschulen und Sonderschulheimen. Bei Letzteren kommt auch dem Bereich der Alltagsbegleitung und Erziehung eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Übergang ins Erwachsenenleben gibt es Angebote zur Berufsvorbereitung und -ausbildung – jeweils zugeschnitten auf die individuellen Möglichkeiten der Personen.
Besonders vielfältig ist das Angebot für Erwachsene. Es reicht von betreutem oder begleitetem Wohnen über Tagesstätten, Werkstätten, Lebens- und Arbeitsgemeinschaften bis hin zu individuellen Begleitformen und Assistenzmodellen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Integration in einen Arbeitszusammenhang. Erwachsene mit Unterstützungsbedarf können Tätigkeiten nachgehen, die ihren individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechen. So erfahren sie Sinn und Anerkennung. Wann immer möglich, wird die Einbindung in den ersten Arbeitsmarkt gefördert.
Mehr über die Angebote unserer Verbandsmitglieder erfahren Sie auf deren eigenen Webseiten – hier geht es zur Mitgliederübersicht.
Leitmotive für die Angebotsgestaltung
So vielfältig die Angebote der Institutionen auch sein mögen, ihnen gemeinsam ist die Orientierung am anthroposophischen Menschverständnis. Dieses kommt in der Gestaltung der Begleitangebote und der therapeutischen Unterstützung zum Ausdruck:
- So wird beispielsweise viel Wert auf die Pflege des Künstlerischen gelegt. Kunst unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung, sie dient als Kommunikations- und Ausdrucksmittel ebenso wie als therapeutisches Mittel, um Einseitigkeiten auszugleichen.
- Auch die bewusste Gestaltung des Tages-, Wochen- und Jahresablaufs spielt in unseren Institutionen eine wichtige Rolle. Rhythmen und Rituale, beispielsweise das Feiern der Jahresfeste, geben den begleiteten Personen Sicherheit und Orientierung. Zudem ermöglichen sie es, Spiritualität zu erfahren – natürlich unter Berücksichtigung und in Achtung der Konfessionen und Religion sowie Bedürfnisse des Einzelnen.
- Für die Stimmung und das Wohlbefinden ist entscheidend, wie das Wohnumfeld gestaltet ist. Anthroposophisch orientierte Institutionen setzen sich für bedürfnisgerechte Gestaltung des Wohnraumes der Bewohner*innen ein.
Massgeblich für die Entwicklung von Begleitangeboten sind neben den anthroposophischen Grundlagen auch die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Ihr Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Unterstützungsbedarf am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben. Der Verband Anthrosocial beteiligt sich aktiv in den nationalen Arbeitsgremien zur Umsetzung der Konvention.
Entstehung der anthroposophischen Heilpädagogik
Die Ursprünge der anthroposophisch orientierten Heil- und Sozialpädagogik gehen auf Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie, zurück. 1924 hielt Rudolf Steiner am Goetheanum in Dornach zwölf Vorträge, bekannt als «Heilpädagogischer Kurs». Er gab damit den Anstoss einer neuen heilpädagogischen Bewegung weltweit.
Heute sind anthroposophische Heil- und Sozialpädagogik in vielen Ländern anerkannte Teile des sozialen Unterstützungssystems. Es gibt über 650 institutionelle Angebote in 50 Ländern und etwa 50 Ausbildungsstätten. Der Schweizer Verband Anthrosocial wurde 1962 als vahs (Verband für anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie Schweiz) gegründet. Bis heute haben sich ihm mehr als 40 Mitgliedsinstitutionen und zwei höhere Fachschulen der Sozialpädagogik unterschiedlicher Grösse und Ausrichtung angeschlossen.
Linktipps
Sie möchten mehr über anthroposophische Heil- und Sozialpädagogik erfahren? Empfehlenswert für weitere Informationen sind folgende Seiten und Dokumente:
- Charta berufliche Bildung (PDF) – entwickelt von der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie an der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum
- Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung – Internationales Netzwerk für anthroposophische Heil- und Sonderpädagogik, Sozialtherapie, Sozialpädagogik und soziale Arbeit
- Anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie - eine Einführung Publikation anthrosocial (vahs) von Andreas Fischer, 2018
- vahs – Informationsbroschüre zum 50-jährigen Jubiläum unseres Verbands (PDF)
- Anthroposophie gegen Rassismus - Information, Aufklärung, Stellungnahmen